Wie umgehen mit dem Fachkräftemangel in den Kitas? 

Ein Diskussionspapier gibt Antworten.

In den Kitas steht die Uhr auf 5 nach 12, der Fachkräftemangel hat das System an den Rand des Kollapses gebracht. Das Diskussionspapier „Kita-Teams vielfältiger denken“ zeigt Lösungsansätze. Es ist als Kooperation der Fachabteilung Tageseinrichtungen für Kinder im Diözesan-Caritasverband und einer Vielzahl von angeschlossenen Kita-Trägern entstanden. Fragen dazu an Abteilungsleiterin Dorothea Herweg. 

Frau Herweg, können Sie kurz den Status quo schildern? 


Dorothea Herweg: Laut dem Ländermonitoring „Frühkindliche Bildungssysteme“ fehlen in Nordrhein-Westfalen bis 2023 mehr als 100.000 Kita-Plätze, um den Rechtsanspruch für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, deren Eltern einen Betreuungsbedarf haben, zu erfüllen. Mit der geltenden Personalbemessung müssten dafür 24 400 zusätzliche Fachkräfte eingestellt werden. Hinzu kommt ab 2026 der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Dem steht entgegen, dass die katholischen Kita-Träger – wie alle anderen Träger auch – seit Längerem mit massivem Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Die Situation verschärft sich tagtäglich – durch Abwanderung und hohen Krankenstand, als Auswirkung der Belastung durch die Corona-Pandemie oder durch personelle Unterbesetzung. Eine Vielzahl der langjährig tätigen Kräfte wird zudem in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, und es gibt nicht annähernd genug Nachwuchskräfte, um die Stellen nachzubesetzen.  


Woher kommt dieser Fachkräftemangel? 


Dorothea Herweg: Die Ausbildungskapazitäten können mit dem massiven Ausbau an Kita-Plätzen nicht Schritt halten. Dazu kommt, dass es wegen des demografischen Wandels zu wenige Jugendliche gibt, die einen Ausbildungsplatz suchen. Das Problem ist bekanntlich auch in vielen anderen Bereichen spürbar. Da haben andere Berufszweige viel mehr Möglichkeiten, etwas anzubieten, Homeoffice oder Ähnliches ist in Kitas verständlicherweise nicht machbar. Was die Situation verschärft, ist, dass erzieherische Berufe nach wie vor überwiegend von Frauen ausgeübt werden, dadurch sind Beschäftigungsverbote in der Schwangerschaft, Mutterschutz und Elternzeit oder eine Rückkehr in Teilzeit an der Tagesordnung. Ein recht junges Phänomen sind die Zeitarbeitsfirmen, die Fachkräfte teils über Tarif bezahlen und ihnen viele Vergünstigungen zugestehen; diese Menschen fehlen dann auf dem Arbeitsmarkt für Festanstellungen. All das verschärft die Personalsituation.  


Was bedeutet das für die Arbeit in den Einrichtungen? 


Dorothea Herweg: Der Fachkräftemangel hat bereits jetzt erhebliche Auswirkungen auf den Angebotsumfang und die Verlässlichkeit der Betreuung. Gruppen werden wochenweise oder auch länger geschlossen, von kurzfristigen Ausfällen ganz zu schweigen. Erste Träger geben bereits Einrichtungen ab oder sind nicht bereit, sich am erforderlichen Platzausbau zu beteiligen, da sie perspektivisch keine Chance sehen, geeignetes Personal zu gewinnen. Eine weitere Konsequenz ist, dass in den Einrichtungen viele bewährte pädagogische Angebote nicht stattfinden können und auch heilpädagogische Leistungen für Kinder mit Behinderung entfallen müssen. 


Zusammen mit Kita-Trägern haben Sie ein Papier verfasst – was ist das Besondere daran?


Dorothea Herweg: Dass so viele Träger bereit waren, konsequent an Lösungsansätzen und -vorschlägen mitzuarbeiten, zeigt den Ernst der Lage. Ich bin schon über 30 Jahre im Elementarbereich in unterschiedlicher Funktion tätig, und so etwas habe ich noch nie erlebt. Am Ende ist ein Papier herausgekommen, bei dem ein Großteil der nicht-pfarrlichen Träger neben dem DiCV als Mitherausgeber fungiert haben. Alle wissen, dass wir Ansätze benötigen, mit denen wir vorwärtskommen. Gleichzeitig beinhaltet das Papier auch Selbstverpflichtungen, denn es reicht nicht, nur über die Situation zu klagen. Viele der Mitherausgebenden haben das Papier auf den kommunalen Ebenen verbreitet, sie haben Landtags- und Bundestagsabgeordnete angeschrieben. 


Zu welchen Lösungsansätze sind Sie gekommen? 


Dorothea Herweg: Wir haben uns dem Thema angenähert, indem wir zunächst aufgelistet haben, welche Tätigkeiten in den Kitas zwingend von sozialpädagogischen Fachkräften übernommen werden müssen, welche Aufgaben auch Nichtfachkräften anvertraut werden können und wie wir das in eine gute Mischung bringen. Das war ein schwieriger Prozess für die Pädagoginnen und Pädagogen, da das Fachkräftegebot zu Recht einen hohen Stellenwert genießt, aber wir müssen auch die Realitäten zur Kenntnis nehmen. Weniger pädagogische Fachkräfte müssen nicht zwingend zu einem Qualitätsverlust führen. Dann kam die Überlegung dazu, dass wir auch Quereinsteigende brauchen, und alle zusammen arbeiten dann in multiprofessionellen Teams. Schließlich haben wir noch die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Arbeit in Kitas in den Blick genommen sowie den Bereich der Aus- und Fortbildung.


Was würden Sie sich von der Politik wünschen? 


Dorothea Herweg: Interessant ist, dass sich im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung manche Ideen finden, die auch wir formuliert haben. Etwa die Idee der Kita-Sozialarbeiterinnen und -Sozialarbeiter oder die Vorschläge zu internen Karrierewegen und zur Weiterbeschäftigung von Alltagshelferinnen und -helfer. Doch bisher gibt es wenig Bewegung auf der Landesebene, das Förderprogramm für Alltagshelferinnen und -helfer läuft vorerst bis zum 31.07.2023 weiter, was erfreulich ist, und die Einführung der praxisintegrierten Ausbildung Kinderpflege wäre ein kluger Schachzug, wenn für die Kinderpflegerinnen und -pfleger eine langfristige Beschäftigungsperspektive gesichert werden könnte. Das zuständige Ministerium hat eine Koordinierungsstelle „Fachkräfteoffensive für Sozial- und Erziehungsberufe“ eingerichtet, aber es ist fraglich, ob die zu großen Ergebnissen kommen wird. Es fehlen Schulplätze an Fachschulen für Sozialpädagogik. Da müssen das Schulministerium, das für die Schulen zuständig ist, und das Familienministerium, das für die Einrichtungen zuständig ist, besser zusammenarbeiten. Die praxisintegrierte Ausbildung zur Erzieherin / zum Erzieher ist ein Erfolgsmodell, weil unter anderem eine Vergütung gezahlt wird, die der in dualen Ausbildungsberufen in nichts nachsteht. Viele Fachschulen halten aber weiter auch an der herkömmlichen Fachschulausbildung fest, was sich mir nicht erschließt, da müsste ein Umdenken stattfinden. Wir können es uns nicht leisten, Ausbildungswillige abzulehnen!


Was sind Ihre Vorschläge? 


Dorothea Herweg: Wir brauchen langfristige und mittelfristige Initiativen, um Fachkräfte zu generieren und auszubilden, aber wir müssen auch kurzfristig schauen: Was bedeutet es eigentlich für das Land und die Gesellschaft, wenn immer mehr Kitas schließen? Um das zu verhindern, wird mehr Flexibilität bei der personellen Besetzung benötigt, was wir auch in unserem Papier fordern. Diese Flexibilität muss mit einem verbreiterten Ansatz von Fachlichkeit gepaart sein. Wir müssen Kita-Teams vielfältiger denken. Langfristig sollten auch stärker Menschen mit Migrationshintergrund in den Blick genommen und internationale Abschlüsse schneller anerkannt werden. Das bedeutet auch, diejenigen engmaschig zu unterstützen, denen die nötige schulische oder sprachliche Voraussetzung noch fehlt. 

Wenn Kitas in der Corona-Zeit systemrelevant waren, dann sind sie das doch heute auch noch. Und wenn man die Berufstätigkeit von Frauen steigern möchte, um wiederum dem Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen, dann braucht man umso mehr verlässliche Kindertagesbetreuung.


Das komplette Papier finden Sie hier.

© Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.

IMPRESSUM / DATENSCHUTZ


Redaktion: Markus Harmann (verantwortlich), Barbara Allebrodt, Pia Klinkhammer, Sandra Kreuer, Anna Woznicki, Michaela Szillat


Grafik / Layout: Birte Fröhlich, www.bird-design.de


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